Programm:
Antonio Vivaldi: Magnificat, RV 610 – 1. Fassung
Antonio Vivaldi: Gloria in D, RV 589
Aufführende:
Maria Erlacher / Sopran
Barbara Hölzl / Mezzosopran
Wilfried Rogl / Tenor
Martin Gauglhofer/ Bass
Chor und Orchester der Landesmusikschule Westliches Mittelgebirge (Einstudierung: Markus Forster und Markus Fritz)
St. Aegidius Chor (Einstudierung: Martin Astenwald)
Leitung: Markus Forster und Martin Astenwald
Gedanken zum Konzert:
Die Begegnung mit den beiden zur Aufführung gebrachten geistlichen Vertonungen „Magnificat“ (RV 610), 1. Fassung und „Gloria in D“ (RV 589) von Antonio Vivaldi (1678 – 1741) in einer der wohl bewegtesten Zeit seit dem zweiten Weltkrieg stellt Musizierende wie Zuhörende vor die herausfordernde Frage, ob und wie ein Gott, der all die Irrtümer und Abweichungen menschlichen Handelns in der Welt zuzulassen scheint, singend und spielend gelobt, gepriesen und bejubelt werden könne. Vielleicht haben sich diese Frage auch schon die zahlreichen jungen Mädchen in einem der vier „Waisenhäuser“ – „Ospedale della Pietà“ – in Venedig gestellt, als sie von einem mächtigen und heiligen Gott sangen, der „Großes an Ihnen getan“ haben sollte. Aus sehr armen Verhältnissen stammend – nicht selten als Töchter von Prostituierten – oder von ihren Herkunftsfamilien, die sich eine Mitgiftzahlung nicht leisten konnten, abgegeben, durften die Mädchen im „Waisenhaus“ aber auch die Förderung ihrer musikalischen Talente genießen (Schulung im Chorgesang und Unterricht im Instrumentalspiel bzw. Sologesang), wodurch ihnen eine sinnerfüllende Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wurde: „Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben“.
Der im Ospedale della Pietà zeitweilig führende Angestellte Antonio Vivaldi komponierte – stets auf die Aufführungsgegebenheiten abgestimmt – neben zahlreichen weltlichen Musikstücken ein reiches Spektrum an geistlichen Werken für den kirchlichen Gebrauch . Als „Popstar“ seiner Zeit mit wöchentlichen Neuerscheinungen gefeiert, verstand es Vivaldi, dem Zeitgeist und dem aktuellen Musikgeschmack gerecht zu werden. Nach seinem Tod geriet das gesamte Werk in Vergessenheit und konnte glücklicherweise am Beginn des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt und –geboren werden.
Die Charakteristik der beiden Stücke „Gloria“ (RV 589) und „Magnificat“ (RV 610) zeigt einen kontrastreichen Einfallsreichtum des barocken Komponisten. Der Text im „Gloria“ ist dem lateinischen Messtext des „Gloria in excelsis Deo“ entnommen. Vivaldis Vertonung entstand vermutlich anlässlich einer Messe zum Fest „Mariä Heimsuchung“ am 2. Juli 1713/14 und wurde als eigenständige Messe mit 12 aufgeteilten Sätzen, die die gesamte Liturgie begleiten sollte, komponiert. Kantatenmäßig und im Stil der „missa concertata“ angelegt unterscheiden sich die einzelnen Abschnitte in Besetzung, Satzart, Takt, Tonart und Affektgehalt. Entsprechend der Gepflogenheit der Zeit sind das Laudamus te (Nr.3), das Domine Deus (Nr.6 im lyrischen Wechselspiel mit der Oboe) und das Domine Deus, Agnus Dei (Nr.8 mit flehenden Zwischenrufen Chores) sowie das Qui sedes (Nr.10)solistisch vertont. Beim Zuhören des gesamten Werkes eröffnet sich ein ästhetischer Erfahrungsraum aus Spannung und Entspannung, Dissonanzen und Auflösungen, Melancholie im Et in terra pax (Nr.2) und Fröhlichkeit im Domine Fili unigenite (Nr.7), flehendem Bitten im Qui tollis (Nr.9) und dankend huldigenden Jubelgesängen im Gloria in excelsis (Nr.1), im Gratias agimus tibi propter magnam gloriam (Nr. 4 und 5) im Quoniam (Nr.11) und in der prachtvollen Schlussfuge von Chor und Orchester des Cum sancto spiritu (Nr.12).
Meisterhaft komponiert zeigt sich auch das Magnificat (RV 610), jener Lobpreis Marias (Lk.1,46 -55), der u.a. mit dem Fest „Mariä Heimsuchung“ in Verbindung steht (Maria besucht nach der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel ihre Cousine Elisabeth, die mit Johannes dem Täufer schwanger ist). Den jeweiligen Inhalten der einzelnen gegensätzlichen Abschnitte verleiht Vivaldi einen musikalisch differenzierten Ausdruck, der beim Zuhören eine Bandbreite an Affekten und Stimmungen zu erzeugen vermag. Neben Stilmitteln alter Tradition – Hymnische Akkordik im Magnificat (Nr.1) und im Suscepit Israel (Nr.7), schlagkräftige Instrumentation zur dramatischen Unterstützung im Fecit potentiam (Nr.4), Unisono-Satz für die besondere Hervorhebung einer Botschaft im Deposuit (Nr.5) und eine obligatorische Schlussfuge (Nr.9) – sei die Verwendung der für die damalige Zeit eher ungewöhnlichen Dissonanzen im Et misericordia (Nr.3) als besonders bemerkenswert hervorgehoben. Solistisch vertont werden das Exultavit (Nr.2), das Quia respexit (Nr.2a), das Quia fecit mihi magna (Nr. 2b), das Esurientes (Nr.6 als Duett). Das polyphon angelegte solistisch gesungene Terzett im Sicut locutus (Nr. 8) findet einen homophonen Abschluss, welcher auch vom gesamten Chor gesungen werden kann.
Das Orchester und der Chor der Landesmusikschule Westliches Mittelgebirge (Leitung: Markus Forster und Markus Fritz) sowie der St. Aegidius Chor aus Igls (Leitung: Martin Astenwald) freuen sich, den Aufführungsmöglichkeiten entsprechend (Musikschüler.innen und Laienchor mit professionell unterstützenden Solist.innen und Instrumentalist.innen), zwei Werke musizieren zu dürfen, in denen auf musikalischer Ebene die Gewissheit besteht, nach turbulenten, harmonischen Ausflügen wieder zum Ursprung „heimkehren“ zu dürfen. Und vielleicht bringt die Musik auch einen Funken Hoffnung zum Ausdruck, besonders, wenn im Magnificat „Er stürzt die Mächtigen vom Stuhl und erhöht die Niedrigen“ oder im Gloria „und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ erklingt.